Wie stark sind deine Nerven? Kommt auf deine Darmbakterien an.

Weit gefehlt, wer Darmbakterien lediglich für stille Helfer bei der Verdauung hält: Die Bakterien im Darm nehmen nämlich auch Einfluss auf unsere Gedanken, unsere Stimmung und unser Verhalten. Eine neue Studie der irischen Universität in Cork belegt nun, dass die kleinen Mikroben die Struktur und Funktion des Gehirns vielleicht sogar sehr direkt beeinflussen, und zwar indem sie die Myelinisierung regulieren – und dadurch helfen, dass Nervenfasern Impulse richtig weiterleiten können.

Myelin isoliert Nervenbahnen. Quelle: Wikipedia

Myelin isoliert Nervenbahnen. Quelle: Wikipedia

Einfach gesagt: Während der Myelinisierung werden die Nervenfasern mit Myelin, einer Biomembran, umwickelt. Je besser die Nervenzellen auf diese Weise von der sie umgebenden Nervenflüssigkeit isoliert sind, desto effizienter funktioniert die Weiter- und Durchleitung von Nervenimpulsen ans Gehirn.

Myelin verbessert die Nervenleitgeschwindigkeit um mehr als das Hundertfache – deshalb sind auch die Auswirkungen so verheerend, wenn das System zusammenbricht.

Am Beispiel Multiple Sklerose äußert sich der Ausfall des Myelins im Gehirn und im Rückenmark in Einschränkungen des Sehvermögens und der Bewegungsfähigkeit. In besonders schweren Fällen kann er sogar zur kompletten Erblindung oder Lähmung führen.

Direkter Einfluss der Darmbakterien auf das Gehirn

Was aber ist so bahnbrechend an der Studie aus Cork? Sie liefert den bisher stärksten Beweis, dass Darmbakterien tatsächlich einen direkten Einfluss auf das Gehirn ausüben. Für die medizinische Forschung ergeben sich daraus potenzielle Ansätze für die Heilung und Behandlung von entzündlichen Entmarkungskrankheiten wie Multipler Sklerose und sogar psychischen Erkrankungen.

Autismus, chronische Schmerzen, Depressionen und sogar die Parkinson’sche Krankheit könnten bald behandelt werden, auch wenn die Erkenntnisse auf dem Gebiet zum Teil noch recht spärlich sind.

Die Darmbakterien-Forschung der vergangenen 10 Jahre hat längst bewiesen, dass zwischen Gehirn und Darm eine wechselseitige Kommunikation herrscht. So spielt das menschliche Mikrobiom eine wichtige Rolle in der Medizin, und gezielte Veränderungen seiner Zusammensetzung haben bereits Erfolge in der Behandlung von neurologischen und psychischen Krankheiten erzielt.

Verstärkung der Nervenleitgeschwindigkeit durch ein verändertes Mikrobiom

Aufbauend auf Studien zur Verbindung von Darmbakterien und Angstzuständen untersuchten die irischen Forscher, auf welche Weise das Mikrobiom die Aktivität von Genen im Gehirn beeinflusst. Mithilfe der RNA-Sequenzierung untersuchten die Forscher John Cryan, Gerard Clarke und Alan Hoban vom APC Microbiome Institute das Verhalten von Genen im präfrontalen Cortex, also dem Teil des Gehirns, der für planende und organisierende Aufgaben sowie Entscheidungen zuständig ist und außerdem emotionale Informationen verarbeitet.

Für die Studie verglichen die Wissenschaftler keimfreie Mäuse (also solche, die komplett von sämtlichen Bakterien gereinigt waren) mit normalen Mäusen und fanden heraus, dass sich ungefähr 90 verschiedene Gene anders ausdrückten als in den Mäusen mit normalem Bakterienhaushalt. Und hier kommen wir wieder zurück zu Myelinisierung: Einige dieser Gene sind an der Ummantelung der Nervenfasern mit Myelin beteiligt, und zeigten sich in den keimfreien Mäusen weitaus aktiver als in den normalen Tieren.

Bakterien bremsen die Isolierung der Nervenfasern aus

Bei der genaueren Untersuchung der Gehirne der Mäuse stellte sich heraus, dass die Nervenfasern der keimfrei aufgewachsenen Mäuse wesentlich dickere Myelinscheiden aufwiesen als die der nicht veränderten Tiere. Die verstärkte Myelinisierung konnte später zum Teil wieder rückgängig gemacht werden, indem man den keimfreien Mäusen wieder Darmbakterien zuführte.

„Wir haben den Prozess verstanden, der das Myelin an seiner Entstehung hindert“, sagt Cryan, „und soweit wir wissen, ist dies die erste Studie, die den Zusammenhang zwischen der Myelinisierung und dem Mikrobiom erklärt.“

Auf dieser Grundlage könnten die Erkenntnisse der Iren zu neuen Ansätzen in der Behandlung von Multipler Sklerose und ähnlichen Krankheiten führen – neben Präbiotika und Probiotika sind ja sogar Fäkaltransplantationen ein Teil der Palette, mit der sich die Zusammensetzung der Darmflora optimieren lässt.

Denn so lange man noch nicht weiß, genau welche Bakterien den Schaden anrichten, bliebe nur die Antibiotika-Behandlung und ein fortan keimfreies Leben – für den Darm wie auch für den Menschen ein gleichermaßen unrealistisches wie auch viel zu ungesundes Szenario.

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