Die erste Welle: Unternehmen wollen das Mikrobiom erobern

Entgegen der Annahme, dass der Mensch allein geboren wird, haben wir schon bei der Geburt die ersten Mitbewohner gesammelt, die uns unser Leben lang begleiten. Die Rede ist von den Massen an Mikroben, Kleinstbakterien, die auf und in unserem Körper leben. Wenn wir das Kindergartenalter erreichen, sind wir längst in der Unterzahl: Die mikrobischen Zellen haben unsere körpereigenen Zellen um ein Vielfaches überholt.

Mikroben sind jedoch keinesfalls Schmarotzer. Die symbiotische Beziehung, in der wir mit den Bakterien leben, hält uns gesund. Mikrobiome spalten Lebensmittelstoffe auf, die unser Körper sonst nicht verarbeiten könnte, wandeln Nährstoffe in lebenswichtige Vitamine um, regulieren den Glukose-Haushalt und kommunizieren mit unserem Immunsystem.

Wie hängen Bakterien mit unserer Gesundheit zusammen?

Je mehr die Forscher über den Zusammenhang zwischen Bakterien und unserer Gesundheit herausfinden, desto mehr Unternehmen arbeiten an Therapien, die Bakterien und Mikrobiome einschließen. Um die 60 Firmen arbeiten derzeit an Projekten rund um das Mikrobiom als Therapiemittel; die Dunkelziffer ist vermutlich weitaus höher. Indem Mikrobiome verwertet werden, um dem Menschen bei Krankheiten zu helfen, nutzt die moderne Medizin eine Ressource des Menschen selbst. Und schließlich haben sich die Bakterien ja im Laufe der Evolution mitentwickelt, also warum nicht deren Kräfte für unsere Gesundheit nutzen?

Fäkaltransplantation durch Pille (c) Hohmann Labs

Ist die Balance zwischen den Zellen im menschlichen Körper gestört, sind Krankheiten und Beschwerden die Folge. Insbesondere das Clostridium difficile, ein agressives Bakterium, zerstört die lebenswichtige Funktion der Mikroben. 2008 wurde das Human Microbiome Project ins Leben gerufen, eine Initiative des US-amerikanischen National Institutes of Health, und seitdem werden regelmäßig Publikationen über die Verbindung zwischen unserer Gesundheit und Bakterien veröffentlicht. Natürlich müssen die Forscher noch bestätigen, dass ein Ungleichgewicht in der mikrobiellen Landschaft unseres Darms zu Krankheiten führt, doch arbeiten zahlreiche Unternehmen bereits an Lösungen, wie diese Probleme therapiert werden können.

Erfolgreiche Behandlung von Darmerkrankungen bestimmt die Marschrichtung 

Der Erfolg der Behandlung von C. difficile mit eigenen Stuhltransplantaten zeigte das therapeutische Potenzial der Nutzbarmachung der Mikrobiome. Angesichts der hohen Konzentration der Bakterien im Darm ist es nicht verwunderlich, dass die ersten auf Mikrobiomen basierten Therapien sich auf Infektionen oder Erkrankungen des Darms konzentrieren. Sie umfassen C. difficile-Infektionen und entzündliche Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn.

Wissenschaftler haben längst erkannt, dass Darmbakterien entscheidend an körperlichen Funktionen teilhaben. Die Milliarden von Mikroben in unserem Darm verbrauchen Sauerstoff, sezernieren Peptide und Enzyme, helfen Polysaccharide aufzubrechen und spielen eine Rolle bei der Synthese von Aminosäuren und kurzkettigen Fettsäuren – wie ein riesiger Bioreaktor.

Biotech-Unternehmen auf der Suche nach dem Heiligen Gral der Medizin

Fünf Unternehmen in der Übersicht

Die Biotech-Firma SECOND GENOME (San Francisco, USA) hat sich auf die Fahnen geschrieben, Mikroben in Medizin umzuwandeln. Indem man das volle Potenzial aus den kleinen Bakterien herausholt, will das Unternehmen die menschliche Gesundheit verbessern. Die Forschung arbeitet daran, das Mikrobiom bis ins kleinste Detail verstehen, um darauf aufbauend mikrobiotische Medizin und Therapien abzuleiten.

Der therapeutische Ansatz von Second Genome sieht so aus, dass kleine Moleküle hergestellt und dem Körper zugeführt werden, die die Interaktion zwischen gestörten Mikroben und menschlichem Körper als Wirt unterbrechen. Ein bestimmtes Mikrobiom wird durch derartige Moleküle verändert, so dass es anders mit unseren körpereigenen Zellen reagiert oder seine Arbeit einstellt.

In Zusammenarbeit mit Janssen Biotech arbeitet Second Genome an Therapien gegen Colitis ulcerosa, eine geschwürige Dickdarmentzündung. Gemeinsam mit Pfizer entwickelt die Firma außerdem Therapien gegen Fettleibigkeit.

AVID BIOTICS  (San Francisco, USA) arbeitet daran, den Zusammenhang zwischen einem bestimmten Bakterienstrang und einer Krankheit wissenschaftlich zu belegen. Indem das verdächtige Bakterium präzise lahmgelegt oder aus dem Darm entfernt wird, lässt sich der kausale Zusammenhang nachweisen – oder eben auch nicht, wenn er nicht für die Störung verantwortlich ist.

Wird der Zusammenhang in der Untersuchung bestätigt, wird innerhalb desselben Prozesses ein therapeutischer Wirkstoff identifiziert. Mithilfe von künstlich hergestellten Proteinen will man ausgewählte Bakterienstränge beeinflussen, um Darmerkrankungen zu therapieren. Die Proteine verändern die Struktur der nicht richtig arbeitenden Bakterien und verbessern ihre Funktion im Darm.

Finanziert wird die Forschung des Unternehmens durch die SBIR (Small Business Innovation Research).

SERES THERAPEUTICS (Cambridge, USA) entwickelt Bakterien-Sporen, die oral verabreicht werden. Im Darm sollen diese die Symbiose von Mikroben und körpereigenen Zellen wiederherstellen. Ein tiefgreifendes Verständnis der menschlichen Darmflora ermöglicht dem Unternehmen, die Grundpfeiler des Organismus zu verstehen und am Kern des Problems anzusetzen. Mithilfe von zahllosen freiwilligen Darmproben konnte Seres Therapeutics die Darmflora genauestens untersuchen.

Die sogenannte Ecobiotic® Therapie der Firma basiert auf einer Verbindung von symbiotisch zusammenlebenden Mikroben, die die Gesundheit des Darms unterstützen.

Bei seinem Börsengang im Juni 2015 hat das Unternehmen 134 Mio. US Dollar eingenommen.

VEDANTA BIOSCIENCES (Boston, USA) hat einen Weg gefunden, die menschliche Normalflora zu regulieren. Mit eigens entwickelten Medikamenten will das Unternehmen vor allem Autoimmun- und Entzündungskrankheiten die Stirn bieten. Der Fokus der Forschung liegt auf dem Verständnis der Kommunikation zwischen Mikrobiom und menschlichem Körper. Auf Mikrobiom-Basis hergestellte, künstliche Bakterien greifen in die Darmflora ein und bekämpfen dort Krankheiten.

Für das VE202, ein Mittel gegen entzündliche Magengeschwüre, ist das Unternehmen eine Partnerschaft mit Johnson & Johnson eingegangen, einem weltweit agierenden Pharmaziehersteller.

REBIOTICS (Roseville, USA) arbeitet an lebenden Mikroorganismen, die sie auf Basis von menschlichen Proben herstellen. Diese Lebend-Bakterien werden in den menschlichen Kreislauf eingeführt und bekämpfen das aggressive C. difficile, Colitis ulcerosa oder Stoffwechselkrankheiten. Der Vorteil der Behandlung ist, dass die Erkrankten keine Antibiotika einnehmen müssen, sondern die Krankheit stattdessen mit Nachbildungen der körpereigenen Zellen, die nicht richtig arbeiten, bekämpfen können.

Die künstlichen Bakterien ersetzen die im Darm befindlichen, inaktiven Zellen und übernehmen deren Arbeit.

Für seine Forschungen konnte das Unternehmen 25 Mio. US Dollar durch private Investoren gewinnen.

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