Würmer gegen Zöliakie

Eklig, aber effektiv: Würmer gegen Zöliakie

Zöliakie-Patienten leben an sich schon in einer ziemlich rauen Welt. Sie können nicht einmal (normale) Pizza oder Kuchen essen, oder gar Bier trinken. Neuesten Erkenntnissen zufolge scheint die vielversprechendste Behandlung ihrer Krankheit nun auch noch Würmer zu beinhalten. Kein Scherz: Wissenschaftler haben Patienten vorsätzlich mit parasitären Würmern infiziert – alles im Namen der Wissenschaft natürlich.

Spinnerei oder Wissenschaftsdurchbruch?

Was zunächst widerlich und geradezu absurd klingt, scheint zu funktionieren. Eine kleine australische Studie, die früher in diesem Jahr veröffentlicht wurde, führte zum Beispiel dazu, dass Zöliakie-Patienten so viel Gluten zu sich nehmen konnten, wie man in einem ganzen Teller Spaghetti findet. Normalerweise ist das ein Nahrungsmittel, auf das die Betroffenen mit einem heftigen Anfall von Erbrechen und Durchfall reagieren.

Aufgrund des Erfolgs wurde den Wissenschaftlern gerade eine große Summe an Forschungsgeldern zur Verfügung gestellt, um die Studie auf eine größere Probandengruppe von diesmal 40 Personen auszuweiten.

Autoimmunkrankheiten wie Zöliakie behandeln – geht das überhaupt?

Wo aber steckt die Wissenschaft in dieser Versuchsreihe? Zöliakie ist eine Erkrankung, bei der der Körper Gluten fälschlicherweise als Bedrohung erkennt. Deshalb greift er den an sich harmlosen Multi-Protein-Komplex in getreidehaltiger Nahrung an. Dabei reagiert das Immunsystem mit einer Entzündung, die wiederum eine schwere Schädigung des Dünndarms zur Folge hat. Krankheiten, bei denen der Körper sich selbst angreift, wie u.a. Zöliakie, werden als Autoimmunkrankheiten bezeichnet.

Der Schlüssel zum Erfolg der Würmer im Rahmen der parasitären Behandlung liegt in der Entzündung des Dünndarms. Autoimmunkrankheiten beinhalten typischerweise eine besondere Form der weißen Blutkörperchen, die Th1 oder T-Helfer-Typ 1 genannt werden und entzündungsfördernd reagieren. Erfolgen diese Reaktionen unkontrolliert, können sie zu schweren Gewebeschäden führen. Es gibt aber noch eine zweite Art der T-Helfer-Zelle, Th2, die im Gegensatz zu Th1 entzündungshemmend reagiert. Diese kleine Zelle wird außerdem mit parasitären Wurm-Infektionen assoziiert.

Mit Würmern die T-Helfer-Zellen austricksen

Diese Erkenntnis brachte die australischen Wissenschaftler auf eine faszinierenden Idee: Könnte die Präsenz der Würmer im Dünndarm der Zöliakie-Patienten tatsächlich zu einer Th2-Reaktion führen, die wiederum die Th1-Reaktion abmildern würde? Tatsächlich ergab die Studie einen begründeten Beweis für diesen Ansatz: Studien zu Wurminfektionen zeigen, dass Th2-Reaktionen für ein entzündungshemmendes Umfeld sorgen können.

Wie der australische Versuch funktionierte

Mit Hakenwurmlarven gegen Zöliakie

Eine Hakenwurmlarve – nicht so lecker, aber dafür könnten Zöliakie-kranke damit wieder sorgenfrei Spagghetti essen…

Die Wissenschaftler wollten diese Erkenntnis aus der Wurmforschung auf die Probe stellen: Wissenschaftler der James Cook University haben gemeinsam mit Ärzten des Prince Charles Hospitals in Brisbane 12 Zöliakie-Patienten als Probanden aufgenommen und sie mit 20 Hakenwurmlarven infiziert, die sie ihnen unter einem Pflaster verabreichten. Die fühlen sich offenbar an, als hätte man scharfe Sauce auf der Haut. Da Hakenwürmer sich im menschlichen Körper nicht vermehren, war auch das Risiko einer schlimmen Infektion unter Kontrolle.

In langsam ansteigenden Dosen nahmen die Teilnehmer der Studie Gluten zu sich, beginnend mit der Menge, die einem 2 Zentimeter langen Stück Spaghetti entspricht. Zum Ende der Studie erhielten sie ca. die Menge Gluten, die einer mittleren Portion Spaghetti gleichkommt. Mit Beginn der Folgestudie aber werden die 40 Probanden mit wesentlich höheren Gluten-Mengen konfrontiert werden.

Nur ein kleiner Schritt auf einem langen Weg

Man beachte jedoch, dass es sich dabei immer noch keinesfalls um ein „Heilmittel“ für Zöliakie handelt, auch wenn weitere Studien beweisen, dass die Behandlung mit Würmern die Lebensqualität der Betroffenen immens steigern könnte.

Die Wissenschaft ist sich noch nicht sicher, was genau den beobachteten Effekt antreibt – deshalb sollen Wurmkomponenten in Zukunft weiter untersucht werden. Sollte sich nämlich herausstellen, dass ein bestimmtes Molekül oder eine Molekülgruppe dafür verantwortlich ist, wäre es vielleicht möglich, diese in die Behandlung zu integrieren – anstatt Patienten willentlich mit Würmern infizieren zu müssen.

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