Glutenunverträglichkeit

Gluten-Unverträglichkeit: Die Macht der Einbildung

Die Unverträglichkeit von Gluten ist längst zu einer Art Volkskrankheit geworden. Hunderte von Ratgebern geben Tipps, wie man glutenfrei kochen und leben kann, und versprechen ein besseres Lebensgefühl ohne Gluten. Alles wissenschaftlich fundiert, so meint man.

Doch ausgerechnet jene australischen Wissenschaftler, die vor einigen Jahren Beweise für die Unverträglichkeit von Gluten vorlegten, haben nun erklärt, dass dieses Phänomen womöglich doch nicht existiert.

Sind diese Bücherstapel jetzt nur noch gut für’s Altpapier?

Das Glutenempfindlichkeits-Experiment

Ein Experiment aus dem Jahr 2011 im Labor von Peter Gibson an der Monash University in Australien ergab, dass glutenhaltige Diäten gastrointestinale Beschwerden bei Menschen ohne Zöliakie verursachen können.

Zöliakie ist eine chronische Autoimmunerkrankung der Dünndarmschleimhaut, die durch Gluten ausgelöst wird. Wer diese Diagnose erhält, wird wohl um das glutenfreie Leben erst einmal nicht herumkommen. Viele Menschen aber scheinen auf Gluten zu reagieren, ohne dass bei ihnen eine Zöliakie diagnostiziert werden kann.

Diese „nicht-Zöliakie“ nannten die Forscher Gluten-Empfindlichkeit.

Massenphänomen ‘Glutenfrei’

Die Herstellung glutenfreier Lebensmittel ist inzwischen eine Großindustrie: Um die 30 Prozent der Menschen, Tendenz steigend, wollen weniger Gluten essen. Nach Schätzungen wird der Verkauf von glutenfreien Produkten im Jahr 2016 die Marke von 15 Milliarden US Dollar erreichen.

Obwohl Experten schätzen, dass nur 1 Prozent der Amerikaner – das sind etwa 3 Millionen Menschen – tatsächlich an Zöliakie leiden, kaufen derzeit 18 Prozent der Erwachsenen glutenfreie Lebensmittel.

Warum Gibson seine eigene Forschung überholte

In seinem kürzlich veröffentlichten Fachbeitrag stellte Gibson eine Folgestudie vor, die das komplette Gegenteil der ersten Studie aussagt.

Was war passiert?

Da Gluten ein Protein ist, das in jeder normalen Ernährung zu finden ist, war Gibson mit seiner Entdeckung unzufrieden. Er wollte herausfinden, warum das Gluten diese Reaktion zu verursachen schien, und ob noch ein anderer Grund dafür verantwortlich sein könnte. Aus diesem Grund ging er bei seiner nächsten Studie noch einen Schritt weiter und forschte auf einer Ebene, die man bei Ernährungsstudien eigentlich nicht erwartet.

Für seine Nachfolge-Veröffentlichung wurden 37 Patienten mit selbst diagnostizierter Gluten-Empfindlichkeit getestet. Der Real Clear Science’s Newton Blog erklärt, wie das Experiment funktioniert:

Die Probanden werden für die Dauer des Prozesses mit sämtlichen Mahlzeiten versorgt. Jeder einzelne potenzielle Auslöser für gastrointestinale Symptome wird aus den Lebensmitteln entfernt. Dazu gehören Laktose, bestimmte Konservierungsmittel wie Benzoesäure, Propionat, Sulfite und Nitrite sowie vergärbare, schlecht vom Körper aufzunehmende, kurzkettige Kohlenhydrate, auch als FODMAPs bekannt. Zu guter Letzt sammeln die Forscher von ihren Probanden den Urin und die Fäkalien von 9 Tagen ein.

Gibson war es mit seiner neuen Studie also durchaus Ernst.

Verdauungsprobleme selbst bei glutenfreier Kost

Die Probanden erhielten High-Gluten-, Low-Gluten- sowie Placebo-Diäten ohne Glutenzusatz. Dabei wussten sie nicht, welchem Diät-Plan ihre Ernährung zu welchem Zeitpunkt folgte. Am Ende stellte sich heraus, dass die Behandlung bei allen angewendeten Diäten – selbst bei der Placebo-Diät – Schmerzen, Blähungen und Übelkeit in einem ähnlichen Ausmaß verursachte. Es spielte keine Rolle, ob die Diät Gluten enthielt.

Der Nocebo-Effekt – alles nur im Kopf?

„Im Gegensatz zu unserer ersten Studie konnten wir absolut keine spezifische Reaktion auf Gluten finden,“ schreibt Gibson in seiner Veröffentlichung. Eine dritte, größere Studie, die im August 2015 veröffentlicht wurde, bestätigt Gibsons Ergebnisse.

Es scheint sich bei der Gluten-Empfindlichkeit um einen „Nocebo“-Effekt zu handeln: Da die selbst diagnostizierten Patienten aufgrund ihrer “Glutenunverträglichkeit” erwarteten, sich durch die Diäten der Studie schlecht zu fühlen, trat die Erwartung auch ein. Wahrscheinlich waren die Probanden auch sensibler im Bezug auf ihre Darmprobleme, da sie diese für die Studie überwachen mussten.

Woher stammen denn nun die Symptome?

Die anderen potenziellen Auslöser in der Nahrung, speziell die FODMAPs, könnten die Ursache für das sein, was viele Menschen fälschlicherweise als Gluten-Empfindlichkeit interpretiert haben. FODMAPs werden häufig in den gleichen Nahrungsmitteln wie Gluten gefunden.

Das erklärt zwar immer noch nicht, warum die Probanden der Studie negativ auf Diäten, die frei von allen diätetischen Auslösern waren, reagierten – aber Sie können in Zukunft wieder beruhigt an Ihrem Brot riechen und es sogar essen.

Es lohnt sich eben, genauer hinzuschauen und zu hinterfragen – auch für die Wissenschaftler.

2 Kommentare

  • David
    7. September 2015
    reply

    Spannender Artikel. Vielen Dank.

    Seit vielen Monaten ernähre ich mich nun schon glutenfrei und meine Probleme (ähnlich wie die im Artikel) sind nahezu verschwunden.
    Ich erhalte den gleichen Effekt, wenn ich weiß, dass irgendwo gluten mit enthalten ist, wie die Testpersonen aus der Studie.

    Aber ich habe auch schon ein paar Mal versehentlich und unwissentlich Speisen mit Gluten zu mir genommen und dann o.g. Symptome gehabt. Natürlich kann es auch sein, dass ich auf die FODMAPs reagiere …

    Es ist ein einziges Mysterium bei dem einem scheinbar keiner helfen kann.

  • Claudia Ferber
    24. September 2016
    reply

    Nach jahrzehntelangem vergeblichem Von-Arzt-zu-Arzt-Wandern habe ich mich letztes Jahr entschlossen, auf Gluten zu verzichten. Siehe da, die Beschwerden verschwanden. Dann habe ich nach und nach wieder Gluten zu mir genommen und alles wirde schlimmer als jemals zuvor. Jetzt habe ich vor zwei Wochen wieder aufgehört mit Gluten und es geht mir prima. Ehrlich gesagt, interessieren mich solche Studien nicht, ich habe gelernt, auf meinen Körper zu hören. Und ob es nun Gluten, Fogmaps oder andere Stoffe sind, die im hochgezüchteten Weizen enthalten sind, ist mir egal.
    Man muss der Sache nur einen anderen Namen geben, z.B. Getreideunverträglichkeit. Aber ich finde es unmöglich, den Patienten den schwarzen Peter zuzuschieben, nach dem Motto: Es ist alles nur in ihrem Kopf.

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