Mit Darmbakterien gegen Lebensmittelallergien

Lebensmittelallergien haben sich in den vergangenen Jahren zu einer Begleiterscheinung unserer Kultur entwickelt – Tendenz weiter steigend. Betroffene Menschen leiden unter typischen Symptomen wie Hautausschlag, Baukrämpfen, Niesattacken oder Atemnot, ggf. kann ein allergischer Schock sogar lebensbedrohlich sein.
Bislang gab es keine Hoffnung auf eine wirkliche Therapie, was blieb war meistens nur die strikte Meidung der allergieauslösenden Nahrungsstoffe.

Gar nicht so einfach wenn man bedenkt, was alles versteckt in Fertigprodukten, Medikamenten etc. enthalten sein kann.

Doch nun haben Forscher ausgerechnet unsere Darmbakterien als Verbündete entdeckt, sowohl zum Schutz vor, als auch zur Behandlung von Lebensmittelallergien. Und die Mechanismen sind offenbar prinzipiell ganz einfach…

Was passiert bei einer Lebensmittelallergie im Körper?

Bei einer Allergie gegen Nahrungsmittel zeigt der menschliche Organismus eine Überreaktion auf eigentlich harmlose Naturprodukte. Unser Immunsystem spielt sozusagen verrückt und stuft beispielsweise Kuhmilch oder Erdnüsse als gefährliche Stoffe ein. Die Folge sind Entzündungsprozesse in ganz unterschiedlichen Körperregionen (Haut, Lunge, Darm, …).

Wieso treten Allergien in unserer Gesellschaft vermehrt auf?

Wissenschaftler vermuten, dass der Anstieg der Allergien u.a. mit unserer modernen Lebensweise zusammenhängt. Neben der Anwendung von Antibiotika (wodurch die Darmflora nachhaltig gestört werden kann), spielt mit hoher Wahrscheinlichkeit die – vielfach medial geschürte – Angst vor Keimen und Bakterien und die daraus folgende oft übertriebene Hygiene in den Haushalten der Wohlstandsnationen eine wichtige Rolle.
Hinzu kommt, dass immer weniger Kinder mit Tieren aufwachsen oder ausgiebig im Matsch und Dreck spielen können.

Dabei braucht unser Immunsystem offenbar ein regelmäßiges Abwehrtraining – und reagiert möglicherweise nur deshalb auf eigentlich harmlose Stoffe, da der Kontakt zu Bakterien und Keimen (sozusagen als Sparrings-Partner) fehlt!

Welche Rolle könnten Darmbakterien künftig bei der Behandlung von Allergien spielen?

Wissenschaftler gehen davon aus, dass es u.a. von der Darmflora abhängt, welche Menge der jeweiligen Allergene in die Blutbahn gelangt. Gestützt wird diese These beispielsweise durch Untersuchungsergebnisse der Berliner Charité, denn bei probiotisch therapierten Kindern – mit einer entsprechend veränderten Bakterienbesiedlung im Darm – bildeten sich Allergien zurück. Auch eine Forschungsgruppe der University of Chicago ist einem derartig gesundheitsfördernden Einsatz von Darmbakterien seit einiger Zeit auf der Spur.

Diese und andere Forschungsarbeiten lassen in Zukunft darauf hoffen, Allergien gezielt mit zugeführten Mikroorganismen behandeln zu können (entweder durch Steuerung der Besiedlungsdichte und/oder der Zusammensetzung der Bakterienarten bzw. -stämme im Darm).

Darmbakterien als Allergie-Prophylaxe?

Auch die großen Lebensmittelkonzerne investieren in verschiedene Entwicklungsprojekte. Besonders konzentrieren sie sich dabei auf das Produktsegment Babynahrung, da offenbar gerade in den ersten Lebensabschnitten gute Chancen zur Vermeidung von (Nahrungsmittel-)Allergien bestehen. Hintergrund dazu: Der Darm von Neugeborenen ist zunächst keimfrei, die Bakterienbesiedlung beginnt erst mit der Geburt. Und in dieser entscheidenden Phase kommt es auf die Ansiedlung der ‚richtigen‘ Mikroorganismen an (u.a. durch Wirkstoffe in der Muttermilch).

Basiert die Säuglingsnahrung jedoch beispielsweise auf normaler Kuhmilch, kann das sich gerade bildende Immunsystem der Babys überfordert werden. Deshalb bieten bereits seit einiger Zeit verschiedene Hersteller eine spezielle hypoallergene Babymilch an (auch HA-Milch genannt). Hierbei wird das tierische Eiweiß aufgespalten und auch wärmebehandelt, um es für die kindliche Darmflora verträglicher zu machen und so Allergien vorzubeugen.
Darüber hinaus wird nun in den Laboren zur Vermeidung von Allergien auch versucht, die Darmbakterien selbst günstig zu beeinflussen, beispielsweise durch die Zufuhr bestimmter Milchsäurebakterien (Präbiotika). Derzeit noch ein weites Feld, doch die Industrie wittert ein neues Millionengeschäft…

Was raten Wissenschaftler ansonsten zur Vermeidung von (Lebensmittel-)Allergien?

Gute Nachrichten für Putzmuffel: Weniger kann wie so oft mehr sein, denn offenbar werden insbesondere diejenigen zu Allergikern, die keinen angemessenen Kontakt zu Bakterien haben! Im Normalfall werden deshalb Wasser und einfacher Seifenreiniger aus Expertensicht als völlig ausreichend erachtet, um Bakterien genügend ‚in Schach‘ zu halten. In besonderen Situationen, beispielsweise wenn eine Person im Haushalt eine ansteckende Krankheit hat, kann jedoch Bedarf für den Einsatz medizinischer Desinfektionsmittel bestehen.

Gute Nachricht für Eltern und Kinder: Sich so richtig schmutzig machen bringt nicht nur viel Spaß, sondern hält auch das Immunsystem fit und kann so (Nahrungsmittel-)Allergien vermeiden. Also auf zum Spielplatz, Wald oder Bauernhof!

PS: Alternativ zu harmlosen Lebensmitteln, kann das Immunsystem auch Überreaktionen auf Pollen etc. zeigen, wodurch dann eventuell Heuschnupfen und Asthma entstehen. Auch diese Allergien könnten künftig nach Einschätzung von Wissenschaftlern durch einen therapeutischen Einsatz von Mikroorganismen vermieden oder vermindert werden.

Dann heißt es vielleicht demnächst ‚bye, bye Allergietabletten‘ und ‚Hello Bakteriencocktail’…

Weiterführende Informationen:

Studienergebnisse der University of Chicago

GINI-Langzeitstudie (Zeitraum 15 Jahre)

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